TSK 11 Göttingen 2006 Klein et al. Methodische Untersuchun- gen am Kreta-Detachment (Kreta, Griechenland): An- zeichen für eine alpidische Metamorphose der Hangend- scholle Vortrag Thomas Klein1 Gernold Zulauf1 John Craddock2 Johannes Glodny3 Einführung Die Insel Kreta bildet den südlichen Rand der externen Helleniden, welche üblicherweise in zwei Deckenstapel un- tergliedert werden: Die unteren Decken (Plattenkalk und Phyllit-Quarzit- Einheit) sind durch eine alpidische HP-Metamorphose (Oligozän/Miozän) gekennzeichnet (Seidel et al. 1982, Joli- vet et al. 1996), welche im Hangenden bislang nicht nachgewiesen wurde. Die Oberen Decken (i.w. Tripolitza- und Pindos-Einheit) bestehen aus karbo- natischen Gesteinen und sind für eine petrologische PT-Abschätzung unge- eignet. Aufgrund des Gesteinshabitus wurden sie als unmetamorph eingestuft. Schlußfolgernd wird der Kontakt der beiden Stapel seit etwa zwanzig Jahren als krustales Megadetachment (‚Kreta- Detachment‘) aufgefaßt (Jolivet et al. 1996, Fassoulas et al. 1994, Kilias et al. 1994), wobei Versatzbeträge von über 100 km angenommen werden (Ring et al. 2001, 2001). Ziel dieser Arbeit ist es Gemeinsam- keiten und Unterschiede der unmittel- bar an das Detachment angrenzenden Einheiten herauszuarbeiten, um Rück- 1 Johann Wolfgang Goethe-Universität, Sen- ckenberganlage 32–34, 60325 Frankfurt am Main 2 Macalaster College, Geol. Dept., St. Paul, 1600 Grand Ave., Mn 55105 3 GeoFor- schungsZentrum Postdam, Telegrafenberg C2, 14473 Potsdam schlüsse auf die tatsächliche Signifikanz der Störungszone zu ziehen. Methoden Es wurden neben der röntgenographi- schen Bestimmung der Illitkristallini- tät (IK) zusätzlich Kalzitzwillinge zur Temperaturabschätzung herangezogen. Die IK wurde an luftgetrockneten Tex- turpräparaten mit standardisierter Be- legungsdichte ermittelt. Die Umrech- nung der gemessenen Halbhöhenbreiten erfolgte mittels CIS-Standardisierung (Warr und Rice 1994). Kalzitzwillings- Thermometrie (Burkhard 1993, Ferrill et al 2004) erfaßt im Gegensatz zur IK eher das Temperaturregime während ei- ner Deformation. Die Verformung der Gesteine ließ sich im Falle der Phyllit-Quarzit-Einheit E- Kretas mit der Rf/φ - und der (norma- lisieren) Fry-Methode quantifizieren. Um die Raumlage der prinzipiellen Verformungsachsen in Tripolitza- und Phyllit-Quarzit-Einheit zu rekonstruie- ren, wurde die statistische Orientierung der Kalzitzwillinge im geographischen Referenzrahmen probenweise erfaßt (n. Grohong 1972). Streß- und Strainellip- soid sind in bei fehlender Vorzugsori- entierung der Kalzite kongruent (Burk- hard 1993). Streßmagnituden wur- den mit dem Kalzitzwillingsintensitäts- Paläopiezometer nach Rowe und Rut- ter (1990) bestimmt. Die erzielten Ab- solutwerte für den differentiellen Stress erscheinen zwar zu hoch, sollten jedoch untereinander vergleichbar sein. Ergebnisse Die Geländebefunde zeigen für E-Kreta, dass in beiden Einheiten bruchafte Ver- formung stattfand. Die basalen An- teile der Tripolitza-Einheit sind da- bei vollständig brekziiert. Auf Klasten 1 Klein et al. TSK 11 Göttingen 2006 der kataklastisch überprägten Phyllit- Quarzit-Einheit treten spröde Strie- mungen und Kalzitfaserminerale mit Top-SW Kinematik auf. Während die Tripolitza-Einheit in der Regel stei- le Abschiebungen, teilweise aber auch horizontale Bruchflächen mit assoziier- ten Riedel-Scherflächen aufweist, treten in den darunterliegenden triassischen Rotsedimenten zudem E W streichen- de Dehnungsrisse, Abschiebungen (z.T. listrisch), Knickbänder, und N–S verlau- fende Streckungslineare auf. In W-Kreta konnten in den basalen Anteilen der Tripolitza-Einheit Top- WNW-Bewegungen nachgewiesen wer- den, womit die Streckungsfaser parallel zur den dortigen Faltenachsen verläuft. Die Brekziierung ist deutlich schwächer, das Gestein meist homogranular mi- krosparitisch. An der Probenlokalität Falasarna (W-Küste) kam es zum meta- morphen Wachstum von Hellglimmern. Da dies eine Ausnahme ist, ist der Me- tamorphosegrad der Tripolitza-Einheit am einfachsten mit den klassichen Me- thoden zur Intensitätsabschätzung ei- ner niedergradigen Metamorphose be- stimmbar. Deren Anwendung zeigt ebenfalls, dass eine schwachmetamorphe Überprägung der Tripolitza-Einheit vorliegt. Selbst die Kalzitverzwillingung fand in beiden Einheiten etwa unter gleichen Bedin- gungen statt, wobei jedoch für einen Großteil der kretischen Gesteine gilt, dass nur dünne Zwillinge auftreten, wie sie für Temperaturen weit unter 200°C charakteristisch sind. Speziell in E-Kreta erscheint die Phyllit- Quarzit-Einheit zudem auch diageneti- sche Anteile zu beinhalten, wobei die Tripolitza-Einheit hier anchizonale Be- dingungen erfuhr, was eine inverse Me- tamorphose impliziert. Die fehlende me- tamorphe Überprägung im Liegenden der Tripolitza-Einheit ist durch die sehr niedrige Illitkristallinitäten, niedri- gen Partikel- und Matrixstrain, durch Kalzit- und Quarz-Mikrogefügen und relativ hohe Differentialspannungen be- legt (vgl. Zulauf et al. 2002). Von einer retrograden Überprägung der Phyllit- Quarzit-Einheit im Zuge der Störungs- aktivität ist laut Jolivet et al. (1996) ab- zusehen. Deswegen sind Deckenbewegungen in E-Kreta die wahrscheinlichste Ursache. Das Vorhandensein einer jungen kom- pressiven Tektonik mit Deckenbewegun- gen wird aber vor allem durch die Tat- sache gestützt, dass dort unmittelbar im Liegenden der Tripolitza-Einheit Neoge- ne Anteile vorkommen, was mit keinem Detachment-Modell erklärbar ist (s.a. Fortuin 1977). In W-Kreta ist eine inverse Metamor- phose zwar nicht nachweisbar, doch auch hier erscheint der in der Lite- ratur postulierte Metamorphosesprung überzogen, da sowohl in der Tripolitza- Einheit als auch in der Phyllit-Quarzit- Einheit anchi- bis epizonale Illitkristal- linitäten gemessen wurden. Die metamorphen Hellglimmer in W- Kreta zeigen zudem ähnliche Phengit- Gehalte, wie Gesteine der Phyllit- Quarzit-Einheit. Trotz des Fehlens ei- ner kritischen Paragenese ist dieses ein Hinweis auf unterschätzte Druckbedin- gungen. U.a. aufgrund sehr geringer Korngrößen gelang es nicht ein robu- stes Rb/Sr-Alter zu gewinnen. Die er- mittelte vier-Punkt Isochrone liefert mit 19 ± 2, 5Ma (MSWD = 9,8) jedoch ein Isotopen-Alter, welches den Ar-Ar Altern der Phyllit-Quarzit-Einheit W- Kretas entspricht. Die Kalzitstrainanalysen zeigen, dass in Tripolitza-Einheit und Phyllit-Quarzit- 2 TSK 11 Göttingen 2006 Klein et al. Einheit im wesentlichen schichtparal- lele (subhorizontale) Einengung statt- fand, wobei vertikale Einengung eben- falls vorkommt. Die statistischen Mit- telwerte der Einheiten sind dabei nahe- zu identisch. Trotzdem deutet eine star- ke Streuung der Straintensoren auf eine polyphase Deformation unter einem sich änderenden Streßfeld hin. Zusammenfassung und Schlußfol- gerungen Kreta wurde in den zurückliegenden bei- de Dekaden als ein, im Rahmen der durch roll-back der ozeanischen Kruste Gondwanas induzierten Ägäischen Ex- tension exhumierter, ‚kalter‘ metamor- pher Kern-Komplex interpretiert. Da- bei wurde als wesentlicher Mechanis- mus der Exhumierung der kretischen HP-Gesteine ein Megadetachment un- mittelbar oberhalb der Phyllit-Quarzit- Einheit erwägt. Die vorliegenden Da- ten belegen jedoch einen wesentlich geringeren Metamorphose-Sprung, was sich auch mit jüngsten Literaturda- ten deckt. In E-Kreta liegt sogar ei- ne inverse Metamorphose vor. Dabei ist festzustellen, dass der Zeitpunkt der thermischen Überprägung in der Tripolitza-Einheit mit den Abkühlal- tern der Phyllit-Quarzit-Einheit iden- tisch ist. Auch zeigen die Geländebefun- de nicht selten eine von den Literaturda- ten abweichende Kinematik unmittelbar am Störungskontakt. Die rezente Geländesituation ist damit wesentlich besser durch eine Tektonik zu erklären in der Kompression und Exten- sion einander abwechselten, es zwar zur Exhumierung von HP Gesteinen kam, aber auch Krustenstapelung in kleine- rem Maßstab stattfand. Dabei sind we- der Magnituden noch die Raumlagen der Hauptnormalspannungen in einem hohen Krustenstockwerk für alle Lo- kalitäten auf Kreta identisch gewesen. Ein ‚Kreta-Detachment‘ kann damit we- der Ursache noch alleiniger Mechanis- mus der Exhumierung der HP-Gesteine Kretas sein. Offenbar ist die gesam- te Extension entgegen bisheriger Ver- mutungen viel stärker delokalisiert und verteilt sich über ein Netz von Stö- rungen innerhalb der Phyllit-Quarzit- Einheit. Die kataklastische Störungs- zone unmittelbar zwischen Tripolitza- und Phyllit-Quarzit-Einheit ist zumin- dest in E-Kreta durch Kompression ent- standen. Literatur Burkhard M (1993) Calcite twins, their geo- metry, appearance and significance as stress- strain markers and indicators of tectonic re- gime - a review. Journal of Structural Geo- logy, 15(3–5): 351–368 Fassoulas C, Kilias A & Mountrakis D (1994) Postnappe stacking, extension and exhuma- tion of high-pressure, low-temperature rocks in the island of Crete, Greece. Tectonics 13(1): 127–138 Ferrill DA, Morris AP, Evans MA, Burkhard M, Groshong RH & Onasch CM (2004) Cal- cite twin morphology: a low-temperature de- formation geothermometer. 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