TSK 11 Göttingen 2006 Ibele & Behrmann Deformation und Kinematik der Lechtal-Decke im nord- westlichen Rätikon, Nördli- che Kalkalpen (Vorarlberg, Österreich) Poster Tobias Ibele1 Jan H. Behrmann1 Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem strukturellen Bau und der tektonischen Entwicklung der Lechtal-Decke im nord- westlichen Rätikon am Westende der Nördlichen Kalkalpen (NKA). Die Da- ten und Interpretationen beziehen sich zum Einen auf den gesamten Bereich der NKA im Rätikon westlich des Brand- nertals und zum Anderen auf ein detail- liert kartiertes Teilgebiet zwischen dem südlichen Brandnertal und dem südli- chen Gamperdonatal. In- und außer- halb dieses Kartiergebiets konnten in Aufschlüssen der Arosazone, die das lo- kale Unterlager der Nördlichen Kalkal- pen darstellt, kinematische Daten von Scherbändern erhoben werden. Auf der Basis der eigenen Arbeiten und publi- zierten Geologischen Karten der Regi- on (Allemann 1985, Heissl 1965) wur- de ein NW–SE-Profil durch das westli- che Rätikon konstruiert und bilanziert. Die Anlage des Profils erfolgte senk- recht zum Überwiegenden Streichen der Großstrukturen die einen ausgeprägten Schuppen- und Faltenbau zeigen. Das Kartiergebiet enthält die gesamte Abfol- ge der Nördlichen Kalkalpen vom sky- thischen Buntsandstein bis zu den ober- kretazischen Kreideschiefern, sowie Ge- steine der Arosazone. Das Strukturin- ventar des Kartiergebiets zeigt eine vor- wiegend NW-gerichtete Vergenz in den tieferen Einheiten und eine vorwiegend N- bis NE-gerichtete Vergenz in den hö- 1 Geologisches Institut, Universität Freiburg, Albertstr. 23B, D-79104 Freiburg heren Einheiten. Die beiden Domänen unterschiedlicher Vergenz sind durch den Horizont der karnischen Raibler- Schichten voneinander getrennt. Dabei ist in Bereichen, in denen die Raibler- Schichten größere Mächtigkeiten aufwei- sen der Vergenzkontrast zwischen prä- und postkarnischen Einheiten geringer als in Bereichen in denen die Raibler- Schichten stark reduzierte Mächtigkei- ten aufweisen. Die Strukturdaten der Arosazone im westlichen Rätikon zeigen überwie- gend einen NW-gerichteten Transport des tektonisch Hangenden. Im Nor- den, wo Arosazone die Nördlichen Kal- kalpen von Rhenodanubischem Flysch und nicht von der mittelpenninischen Falknis-Decke trennt, zeigt sich dagegen ein NE-gerichteter Transport des tekto- nisch Hangenden. Da der Rhenodanubi- sche Flysch nach dem Mittelpenninikum überfahren wurde (Frisch 1979, Ober- hauser 1995), zeigt sich hier möglicher- weise ein Wechsel der tektonischen Ver- kürzungsrichtung mit der Zeit von NW nach NE. Im Kartiergebiet wurden Raumdaten von insgesamt 123 Harnischen aufge- nommen. Diese Daten wurden erst nach tektonisch sinnvollen Gruppen getrennt, und daraufhin eine Paläospannungsana- lyse mit der RDM (Right Dihedra Me- thod; Angelier & Mechler 1977) und der P/T-Achsen Methode (Marrett & Allmendinger 1990) durchgeführt. Bei- de Methoden ergaben im Wesentlichen ähnliche Ergebnisse. Mit Ausnahme we- niger lokaler Abweichungen zeigen al- le Datensätze eine SE-NW gerichte- te Orientierung der größten kompressi- ven Hauptnormalspannung (σ1). Die er- mittelte räumliche Anordnung der drei Hauptnormalspannungen zeigt nur für die Daten aus der Arosazone eine über- 1 Ibele & Behrmann TSK 11 Göttingen 2006 schiebende Kinematik. Die Übrigen Da- ten zeigen abschiebende Kinematik. Die relativ homogene Orientierung der Pa- läospannungsachsen weißt auf ein regio- nales Ereignis hin. Die Profilbilanzierung wurde in zwei Einzelschritten vorgenommen: Eine spä- torogene Verkürzung des gesamten Pro- fils, und eine vorhergehende interne Ver- kürzung und Verschuppung der Nördli- chen Kalkalpen. Für den ersten Schritt wurde eine Einengung von 37% ermit- telt. Er reflektiert eine späte tektoni- sche Phase, die im Liechtensteiner Va- lorschtal Rhenodanubischen Flysch mit einschuppt und dem gesamten Profil die Geometrie einer weitspannige Synform gibt. Im zweiten Bilanzierungsschritt wurden die einzelnen Schollen und in- nerhalb dieser das prä- und das post- karnische Gesteinspaket jeweils getrennt voneinander bilanziert. Dabei wurden verschiedene Verkürzungsbeträge zwi- schen 10% und 30% ermittelt. Die Bi- lanzierung musste für jede Scholle ein- zeln vorgenommen werden, da auf den die Schollen trennenden Störungen grö- ßere Seitenverschiebungsbeträge anzu- nehmen sind. Die aus der Profilbilan- zierung ermittelten Verkürzungsbeträge nehmen entlang des Profils von Nordwe- sten nach Südosten ab. Auch die Über- einstimmung der entzerrten Zustände von prä- und post-karnischen Einheiten nimmt in diesem Verlauf ab. Der Grund hierfür könnte in der nach Südosten zu- nehmenden Differenzierung in überwie- gend NW-gerichtete Einengung im prä- karnischen Stockwerk und mit der Zeit zunehmende Einengung in NE-Richtung nur im post-karnischen Stockwerk zu su- chen sein. Aus dem Befund einer mit der Höhe des tektonischen Stockwerks zunehmenden Rotation der Einengungs- richtung im Kartiergebiet folgt für den SE-Teil des Profils eine mit der Profilhö- he zunehmend senkrecht zur Profilebene gerichtete Einengungskomponente und somit eine zunehmende Unmöglichkeit korrekter Bilanzierung. Dieser zweite Bilanzierungsschritt reflektiert die frühe Kalkalpen interne Verkürzung und die Deformation während der Überfahrung der Mittel- und Nordpenninischen Ein- heiten durch die NKA. Im Kartiergebiet zeigt sich eine Vergen- zänderung von NW nach NNE mit zu- nehmender stratigraphischer Höhe, aus den kinematischen Daten der Arosazone zeigt sich eine Vergenzänderung von W nach NE mit der Zeit. Da der nordwest- liche Teil des bilanzierten Profils eine bessere Übereinstimmung zwischen den unterschiedlichen stratigraphischen Ni- veaus zeigt als der Südöstliche, scheint die NE-gerichtete Bewegung den nord- westlichen Teil des Gebirges ‚en-bloc‘, im Südöstlichen Teil aber nur die höhe- ren Einheiten erfasst zu haben. Zur späten tektonischen Phase gehört die Einschuppung des Rhenodanubi- schen Flyschs im Valorschtal, und die Bildung der Harnische im Rahmen eines konvergent überschiebenden Regimes. Die gleichzeitige Bildung der weitspan- nigen Synklinalstruktur des Gesamtpro- fils und die dadurch verursachte Ankip- pung des in ihrem Südflügel befindli- chen Kartiergebiets führt möglicherwei- se dazu, dass eine aufschiebende Kine- matik der im Kartiergebiet vorgefunde- nen Harnische sich im heutigen Kartier- befund als überwiegend abschiebende Kinematik darstellt. Diese letzte Pha- se ist NW- bis N-gerichtet. Dafür spre- chen die dem Kartenbild entnommene Aufschlußgeometrie des eingeschuppten Flysches im Valorschtal und die aus den Harnischdaten ermittelte Orientie- rung der Paläospannungsachsen. Des- 2 TSK 11 Göttingen 2006 Ibele & Behrmann halb konnte das in NW-SE-Richtung an- gelegte Profil für diese tektonische Pha- se gut bilanziert werden. Literatur Allemann F (1985) Geologische Karte des Für- stentums Liechtenstein. 1:25.000. Hrsg.: Re- gierung des Fürstentums Liechtenstein. 1985. Angelier J & Mechler P (1977) Sur une me- thode graphique de recherche des contraintes principales egalement utilisable en tectoni- que et en seismologie: la methode des diedres droits. Bull Soc geol France, 19/6, 1309–1318 Frisch W (1979) Tectonic Progradation and Plate Tectonic Evolution of the Alps. Tec- tonophysics, 60, 121–139 Heissel W, Oberhauser R, Reithofer O, & Schmidegg O (1965) Geologische Karte des Rätikon. Maßstab 1:25.000. Hrsg.: Geol. Bundesanstalt Wien, Wien 1965 Marrett R & Allmendinger RW (1990) Kine- matic analysis of fault-slip data. Journal of Structural Geology, 12/8, 973–986 Oberhauser R (1995) Zur Kenntnis der Tekto- nik und der Paläogeographie des Ostalpen- raumes zur Kreide-, Paläozän- und Eozän- zeit. Jb. Geol. Bundesanstalt in Wien, 138/2, 369–432 3