TSK 11 Göttingen 2006 Heinemann et al. Scherzonen- und Schuppen- bildung am Kontakt von Aarmassiv und Helvetikum im Bereich der Engelhörner, Berner Oberland (Schweiz) Poster Niklas Heinemann1 Marc Giba1 Jochenl Fiseli1 Michael Stipp1 Das Untersuchungsgebiet umfasst den Nordrand des Aarmassivs, die auto- chthone und paraautochthone sedimen- täre Bedeckung des Aarmassivs, den ultrahelvetischen Wildflysch und den Südrand der Wildhorndecke. Das Aar- massiv besteht aus dem Innertkirche- ner Granit und Granitgneis und den sogenannten Mischgneisen. Lokal sind präalpine mylonitische Scherzonen aus- gebildet. Die sedimentäre Bedeckung des Aarmassivs beginnt mit einem ge- ringmächtigen permotriassischen Aufar- beitungshorizont des kristallinen Unter- grundes aus Quarz-Glimmerschiefern, Arkosen und Konglomeraten. Darüber folgt die mehrere hundert Meter mäch- tige mesozoische Abfolge. Im Arbeits- gebiet tritt an der Basis der massige, hell bis rötlichgelb verwitternde Röti- dolomit hervor. Im Hangenden liegen die kalkigen Schichten des Doggers sowie das Argovien. Darüber folgen die mäch- tigen Kalkserien des Malms (Quintner Kalk) und der unteren Kreide (Oehrli- kalk), welche die Steilwände der Engel- hörner aufbauen. In den parautochtho- nen Schuppen auf der Nordseite der En- gelhörner beginnt die Abfolge erst mit dem unteren Malm. Als jüngste Ein- heit treten dort allerdings auch Terti- äre Schichten auf, welche überwiegend aus kalkhaltigen Sandsteinen, Brekzi- 1 Geologisches Institut, Universität Freiburg, Albertstr. 23b, D-79104 Freiburg en und Tonschiefern bestehen. Als nur wenige Meter mächtiger dunkler bis schwarzer, glimmerführender Tonschie- fer ist der allochthone ultrahelvetische Wildflysch zwischen den parautochtho- nen Schuppen und der Wildhorndecke eingeklemmt. Die Wildhorndecke wird im Arbeitsgebiet von den Einheiten des Doggers aufgebaut. Die Zuordnung des Doggers zur Wildhorndecke ist aller- dings nicht immer eindeutig. Westlich des Arbeitsgebietes in der Umgebung von Grindelwald werden Einheiten des Doggers z.T. auch dem Ultarhelvetikum zugerechnet (Günzler-Seiffert & Wyss 1938). Die lithologische Kartierung, aber auch die Zuordnung der Lithologien zu den tektonischen Einheiten basiert im We- sentlichen auf den ausgezeichneten Vor- arbeiten (z.B. Arbenz & Müller 1920; Günzler-Seiffert & Wyss 1938; Müller 1938; Büchi 1980). Ziel unserer Unter- suchungen ist es, die Kinematik sowie die relative zeitliche Abfolge der ein- zelnen Groß- und Kleinstrukturen ge- nauer zu bestimmen und die struktu- relle Gliederung des Arbeitsgebietes mit den von Burkhard (1988) definierten Deformationsphasen zu korrelieren. Bei den strukturgeologischen Untersuchun- gen konzentrieren wir uns auf zwei Fra- gestellungen: 1. Welche Auswirkungen haben die al- pidischen Scherzonen im Aarmassiv auf die überlagernden sedimentären Deckeinheiten? 2. Unter welchen rheologischen Be- dingungen erfolgte die Deckenüber- schiebung und Schuppenstapelung, und wurden diese Scherzonen bei ihrer späten Steilstellung reakti- viert? Die meisten tektonischen Kontakte im 1 Heinemann et al. TSK 11 Göttingen 2006 Arbeitsgebiet sind steil gestellt oder überkippt, was auf die mehrphasige De- formationsgeschichte infolge der alpinen Kollision zurückzuführen ist. Im We- sentlichen lassen sich drei Deformati- onsphasen unterscheiden, die den von Günzler-Seiffert (1943) und Burkhard (1988) definierten Phasen im Zeitraum von Oligozän und Miozän entsprechen. Nach der Platznahme der Ultrahelveti- schen Decken wurde in der Prabé Pha- se (ca. 38–30Ma, Burkhard 1988) die Wildhorndecke überschoben. Einherge- hend mit der Deckenüberschiebung fand eine isoklinale Faltung der sedimentären Einheiten statt. Während dieser Phase oder wahrscheinlich erst in der nachfol- genden Kiental Phase (30–20Ma, Burk- hard 1988) wurden die parautochthonen Schuppen gebildet und gestapelt. Die Karbonate an den Kontakten sind meist mylonitisiert, während die quarzreiche- ren Tertiär-Gesteine kataklastisch defor- miert sind. Dieses deutet auf niedrig- gradige Metamorphosebedingungen im Kontaktbereich von Aarmassiv und Hel- vetikum hin (ca. 300°C; vgl. Burk- hard 1990, Herwegh & Pfiffner 2005). Bei der Schuppenbildung wurden die Granite und granitischen Gneise des Aarmassivs z.T. mit in die Deforma- tion einbezogen und randlich gefal- tet. Eine der Schuppenscherzonen in- nerhalb der parautochthonen Sedimen- te ist die ‚Weissenbach Störung‘ am Kontakt von Malmkalk zu tertiärem Sandstein. Die Kalke sind myloniti- siert im direkten Kontakt zu Katakla- siten, in welche Pseudotachylite einge- drungen sind. Es ist mikrostrukturell noch zu klären, ob tatsächlich Kalkmy- lonite, Kataklasite und Pseudotachylite gleichzeitig gebildet wurden oder ob be- spielsweise die Pseudotachylite auf ei- ne späte Reaktivierung der Schuppen- Scherzonen nach der Steilstellung zu- rückzuführen sind. Die Steilstellung und Überkippung der Schuppen-Scherzonen erfolgte während der fortschreitenden Heraushebung des Aarmassivs und der Exhumation des helvetischen Decken- stapels in der Grindelwaldphase (20– 0Ma, Burkhard 1988). Das Aarmas- siv wurde dabei durch interne Ver- formung und Überschiebung parallel zur Einengungsrichtung verkürzt. Da- bei wurden präalpine Scherzonen reak- tiviert, und es bildeten sich grünschie- ferfazielle Mylonite aus (z.B. Marquer & Gapais 1985). Wir vermuten, dass die Aarmassiv-Scherzonen auch im Ar- beitsgebiet erst nach und nicht wie von Büchi (1980) postuliert bereits vor der Deckenplatznahme (re-)aktiviert wur- den. Diese Scherzonen überprägen näm- lich die z.T. tektonisierten Kontakte von Aarmassiv und autochthoner Se- dimentbedeckung. Die Deformation der Kontakte ist gekennzeichnet durch zer- scherte Sediment-Schuppen des Perms bis Doggers und einer mehr oder we- niger starken mylonitischen Foliation, die wohl der Deckenplatznahme zuge- ordnet werden kann. Die Aarmassiv- Scherzonen reichen meist nur wenige Meter in die autochthone Bedeckung hinein. Darüber haben sich allerdings Faltenstrukturen entwickelt, wie z.B. die Falten des Rötidolomites an der Basis der Engelhörner im Urbachtal. Es kann hier also davon ausgegangen werden, dass sich über den Kristallin- Sedimentkontakt hinweg ‚Fault-bend folding‘ Strukturen, also an Störun- gen gebundene Falten, ausgebildet ha- ben. Diese Strukturen sind ebenfalls ein deutlicher Hinweis darauf, dass Aarmas- siv und helvetische Deckeinheiten infol- ge der alpinen Kollision intensiv gemein- sam deformiert worden sind. 2 TSK 11 Göttingen 2006 Heinemann et al. Literatur Arbenz, P & Müller F (1920) Ueber die Tek- tonik der Engelhörner bei Meiringen und den Bauder paraautochthonen Zone zwi- schen Engelberg und Grindelwald. Eclogæ geol. Helv. 16, 111–115 Büchi E (1980) Geologie der autochtonen Se- dimentbedeckung des Aar-Massivs im Ur- bachtal bei Innertkirchen. Lizentiatsarbeit, Universität Bern, pp 102 Burkhard M (1988) L‘Helvetique de la bordu- re occidentale du massif de l‘Aar (Évolution tectonique et métamorphique). Eclogæ geol. Helv. 81 (1), 63–114 Burkhard M (1990) Duktile deformation me- chanisms in micritic limestones naturally de- formed at low temperatures (150–350°C). In: Knipe RJ & Rutter EH (Eds.), Deformation Mechanisms, Rheology and Tectonics, Geolo- gical Society Special Publication 54, 241–257 Günzler-Seiffert H & Wyss R (1938) Geologi- scher Atlas der Schweiz 1:25000. Blatt 396 Grindelwald (Atlasblatt 13), Erlaeuterungen Günzler-Seiffert H (1943) Beweise für passive Tektonik im Berner Oberland. Eclogæ geol. Helv. 36(2), 219–223 Herwegh M & Pfiffner OA (2005) Tectono- metamorphic evolution of a nappe stack: A casestudy of the Swiss Alps. Tectonophysics 404, 55–76 Marquer D, Gapais D & Capdevila R (1985) Chemical behavior and orthogneissification ofa granodiorite in greenschist facies, Aar Massif, Central Alps. Bulletin de Mineralo- gie, 108 (2), 209–221 Müller F (1938) Geologie der Engelhörner, der Aareschlucht und der Kalkkeile bei Innert- kirchen (Berner Oberland). Beitr. geol. Kar- te Schweiz, NF 91 3