TSK 11 Göttingen 2006 Seib et al. Die neogene Entwick- lung des zentralen Tien Schan, Kasachstan. Erste Ergebnisse von Apatit- Spaltspurdatierungen und morphotektonischer Analyse von Satellitendaten Poster Nadine Seib1 Jonas Kley1 Ralf Freitag1 Thomas Voigt1 Einführung Der Tien Schan ist ein etwa E–W er- strecktes, rund 2500 km langes und bis 250 km breites Gebirge in Zentralasien. Einzelne Gipfel sind über 7000m hoch. Obwohl durch die Kollision Indiens mit Asien entstanden, ist der Tien Schan ein Intraplatten-Orogen, dessen Hebung lange nach dem Beginn der Kollision vor 50Ma und weit nördlich der Su- tur einsetzte (Sobel & Dumitru 1997). Von Tibet ist der Tien Schan durch das kaum deformierte Tarim-Becken ge- trennt (Abb. 1). Hohe und schroffe Topographie, star- ke Seismizität (Molnar & Ghose 2000) und GPS-Daten zeigen, dass das Oro- gen auch heute sehr aktiv ist (Abdrakh- matov et al. 1996, Reigber et al. 2001). Der Tien Schan nimmt gegenwärtig et- wa 40% der Gesamtkonvergenz Indiens mit Asien auf. Die Struktur des Ti- en Schan wird dominiert von E–W- streichenden, nach N und S gerichteten Überschiebungen (Avouac et al. 1993, Yin et al. 1998), die sich meist deutlich in der Morphologie äußern. Auffallend ist die großräumige Gliederung des Oro- gens durch NW–SE-streichende dextra- le Blattverschiebungen, die auch in das nördliche Vorland reichen (Tapponnier 1 Institut für Geowissenschaften, Universität Jena, Burgweg 11, 07749 Jena & Molnar 1979). Den Unterbau des Tien Schan bildet ein paläozoisches Akkreti- onsorogen (Zonenshajn et al. 1990). Im Mesozoikum entstand eine ausgedehn- te Fastebene. In der späten Kreide oder dem frühen Tertiär setzte die Ablage- rung kontinentaler Serien ein, die im jüngeren Känozoikum sehr mächtig wer- den. Die synorogenen Sedimente liegen manchmal konkordant, oft aber auch deutlich winkeldiskordant auf dem pa- läozoischen Sockel. In beiden Fällen bil- den sie häufig asymmetrische Falten, die oft mit Störungen verknüpft sind. Ge- ländestufen und ein starker Einfluss auf die Entwicklung des Entwässerungsnet- zes weisen viele Störungen als gegenwär- tig aktiv aus. Unser Untersuchungsge- biet liegt im Südosten Kasachstans. Es umfasst die Nordflanke des Tien Schan und seinen zentralen Teil mit den höch- sten Erhebungen. Im Untersuchungsge- biet liegt das nach E propagierende En- de eines seismisch aktiven Störungssy- stems, das weiter westlich die nördliche Randstörung des Gebirges bildet, wo es unter der Millionenstadt Almaty (Alma- Ata) verläuft und eine ernste Bedro- hung darstellt. Die Entwicklung dieses Störungssystems soll über verschiedene Zeitskalen mit verschiedenen Methoden untersucht werden. Apatit-Spaltspurdaten Erste Apatit-Spaltspurdatierungen aus Graniten und granitischen Gneisen zei- gen zwei deutlich getrennte Bereiche (Abb. 2). Die niedrigen, durch aktive Störun- gen begrenzten Bergzüge im N haben mesozoische Abkühlalter. Diese Berei- che haben seit dem Mesozoikum kei- ne starke Exhumierung erlebt. Auch die Bedeckung durch känozoische Vor- landsedimente war nicht mächtig ge- 1 Seib et al. TSK 11 Göttingen 2006 Abbildung 1: Lage und Hauptstörungssy- steme des Tien Schan, stark vereinfacht nug, um die beprobten Gesteine über die Schließungstemperatur des Apatit- Spaltspursystems (ca. 110°C) zu erwär- men. Weiter südlich treten junge Al- ter von ca. 10Ma auf. Hier wurde nach 10Ma eine Überdeckung von ca. 3–4 km Mächtigkeit abgetragen, die vermutlich aus alten Gesteinen des Gebirgskerns bestand. Die Spurlängenverteilung in diesen Proben deutet auf rasche Exhu- mierung und Abkühlung. Die heute seis- misch aktive Randstörung wurde wahr- scheinlich erst später angelegt. Weite- re Spaltspuruntersuchungen sollen Ex- humierungsalter aus dem höchsten Teil des Gebirges und aus dem Hangend- block der Randstörung bei Almaty lie- fern. Außerdem soll die Grenze zwischen dem stark und dem schwach exhumier- ten Bereich (Abb. 2) durch zusätzliche Datierungen genauer festgelegt werden, um die Hebung einem bestimmten Stö- rungssystem zuordnen zu können. Morphotektonische und struktur- geologische Untersuchungen aus Satellitendaten Große Teile des Untersuchungsgebiets sind entweder zu trocken oder liegen zu hoch für dichten Bewuchs. Sie eig- nen sich deshalb ideal für Methoden der Fernerkundung, mit denen große Gebiete rasch untersucht, vom Boden aus nur schwer erkennbare Strukturen erfasst und Geländeuntersuchungen ge- zielt geplant werden können. Bisher ha- ben wir Landsat TM7-Szenen und die digitalen Höhenmodelle aus 90 m-SRTM (Shuttle Radar-)Daten benutzt. Direk- te strukturgeologische Beobachtungen aus diesen Daten sind versetzte geo- logische oder morphologische Elemen- te und Faltenbau. Bearbeitete Landsat- Daten zeigen durch wesentlich verbes- serte Auflösung der Stratigraphie selbst in Gebieten mit geringem Geländere- lief deutlich großräumige Falten neo- gener Sedimente, die bisher nicht kar- tiert waren. Die Hebung der Gebirgszü- ge steuert im Zusammenspiel mit Kli- maschwankungen die Ablagerung allu- vialer Fächer, die Ausbildung von Tal- profilen und die Bildung von Terras- sen. Das Entwässerungsnetz ist oft der sensibelste Anzeiger aktiver Deforma- tion. Die Bearbeitung der SRTM Da- ten erlaubt die Analyse verschiedenster morphologischer Parameter mit stati- stischen und/oder manuellen Verfahren. Abb. 3 zeigt als Beispiel eine Analyse der Konvexität der Oberflächen. Die Verbindung von Landsat- und SRTM-Daten ermöglicht eine sehr gute Visualisierung und verbesserte Interpre- tation der räumlichen Zusammenhän- ge von Strukturen und Geländeformen. Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten waren bisher auf den chinesischen Ti- en Schan im Osten und Kirgistan im Westen konzentriert. Der zentrale Tien Schan in Kasachstan ist bis heute eine wenig untersuchte Region. Die hier vor- gestellten Arbeiten sind nur ein erster Schritt zu weiteren Forschungen. Sie zei- gen aber schon jetzt, wie wirkungsvoll die eingesetzten Methoden sind. 2 TSK 11 Göttingen 2006 Seib et al. Abbildung 2: Probenahmepunkte und Ergebnisse der Spaltspur-Thermochronologie Literatur Abdrakhmatov KY, et al.(1996) Relatively re- cent construction of the Tien Shan infer- red from GPS measurements of present-day crustal deformation rates. Nature 384, 450– 453 Avouac JP, Tapponnier P, Bai M, You H & Wang G (1993) Active thrusting and folding along the northern Tien Shan and late Ceno- zoic rotation of the Tarim relative to Dzunga- ria and Kazakhstan. J Geophys Res 98(B4), 6755–6804 Molnar P & Ghose S (2000) Seismic moments of major earthquakes and the rate of shorte- ning across the Tien Shan. Geophysical Re- search Letters 27(16), 2377–2380 Reigber C et al. (2001) New space geodetic constraints on the distribution of deforma- tion in Central Asia. Earth and Planetary Science Letters 191, 157–165 Sobel ER & Dumitru TA (1997) Thrusting and exhumation around the margins of the we- stern Tarim basin during the India-Asia col- lision. J Geophys Res 102(B3), 5043–5063 Tapponnier P & Molnar P (1979) Active faul- ting and Cenozoic tectonics of the Tien Shan, Mongolia and Baykal regions. J Geophys Res 84, 3425–3459 Yin A, Nie S, Craig P & Harrison TM (1998) Late Cenozoic tectonic evolution of the southern Chinese Tian Shan. Tectonics 17(1): 1–27 Zonenshajn LP, Kuzjmin MI & Napatov LM (1990) Plate tectonics of the U.S.S.R. terri- tory. Nedra 1990, pp 334 (in Russian) 3 Seib et al. TSK 11 Göttingen 2006 Abbildung 3: ‘Profile Convexity’ der SRTM Daten und verschiedene Formen von Tal- querschnitten in einem Teil des Untersuchungsgebiets. Ebene Talböden und Kerbtäler sind deutlich kontrastiert. Der am stärksten eingeschnittene V-förmige Flussabschnitt (zwischen Pfeilen) deutet auf schnelle Hebung des querenden Hügelzugs. Starkes lokales Relief (hell) korreliert hier deutlich mit aktiv sich hebenden Bereichen 4