TSK 11 Göttingen 2006 Ruedrich & Vollbrecht Geowissenschaftliche Bedeu- tung von Mikrorissen in Kri- stallingesteinen Poster Joerg Ruedrich1 Axel Vollbrecht1 In Kristallingesteinen (Magmatite, Me- tamorphite, Migmatite) sind Mikrorisse allgegenwärtig. Ihre Entstehung ist auf unterschiedliche treibende Kräfte (i.W. Tektonik, Thermik) und Mechanismen wie z.B. volumetrische Verformung oder plastische Rissinitiierung zurückzufüh- ren (z.B. Vollbrecht et al. 1999). Die heute in oberflächennahen Kristallin- gesteinen zu beobachtenden Mikroris- spopulationen repräsentieren i.d.R. die Summe verschiedener geologischer Er- eignisse in unterschiedlichen Krusten- stockwerken, wobei generell die jüngsten Generationen das höchste Erhaltungs- potential besitzen. Abhängig von den jeweiligen stofflichen Rahmenbedingun- gen (Wirtsminerale, Krustenfluide) zei- gen die Mikrorisse unterschiedliche Aus- bildungsformen (offen, verheilt, versie- gelt), die häufig gemeinsam in einem Gestein auftreten und damit komplexe, mehrphasige Entwicklungen dokumen- tieren (Abb. 1a). Analysen von natürlichen und experi- mentell erzeugten Rissen belegen, dass die überwiegende Anzahl als Zugris- se zu interpretieren sind, d.h. sie wer- den primär senkrecht zur kleinsten Normalspannung angelegt. Zusätzlich ist bekannt, dass Mikrorisse innerhalb größerer Gesteinsvolumina meistens in Form von mehreren richtungskonstan- ten Scharen auftreten (Abb. 1b) und da- mit den Gesteinen ein Anisotropieele- ment aufprägen. Das Beispiel in Abb. 1b zeigt zusätzlich, dass die Bildung der 1 Geoscience Centre University Göttingen, Goldschmidtstr. 3, 37077 Göttingen Abbildung 1: Unterschiedliche Mikrorisszu- stände (a) und Quarz-Mikrorisse im Soultz Granit (b); Belegungsdichtediagramm Schmidt’sches Netz untere Halbkugel; vgv = vielfaches der Gleichverteilung; n = Anzahl der gemessenen Risse, aus Schild et al. (1998). verheilten und offenen Mikrorisse un- ter verschiedenen Spannungsrichtungen stattfand. Aufgrund der genannten Eigenschaften besitzen Mikrorisse sowohl für die Rekonstruktion geodynamischer Ent- wicklungen als auch für die Interpreta- tion der physikalischen/mechanischen Gesteinseigenschaften besondere Be- deutung. Das Vernetzungsschema in Abb. 2 zeigt, welche Informationen aus Mikrorissen durch Verknüpfung verschiedener analytischer Methoden gewonnen werden können. Beispielhaft seien folgende Forschungs- und Anwen- dungsfelder genannt: 1. Geodynamik Mikrorisse stellen zum einen sensible (Paläo-) Spannungsindikatoren dar, zum anderen erlauben die Rissfüllungen (Fluide, Minerale) z.T. weitreichende Rückschlüsse auf die Entwicklungsge- schichte des Gesteins. In günstigsten Fällen kann durch eine Datierung der 1 Ruedrich & Vollbrecht TSK 11 Göttingen 2006 Abbildung 2: Beziehungen zwischen Analy- tik und Informationspotential von Mikro- rissen. Rissmineralisate in Verbindung mit ei- ner detaillierten Richtungsanalyse eine Chronologie der Spannungsrichtungen rekonstruiert werden (z.B. Vollbrecht et al. 1994). Anhand von Fluidein- schlüssen in verheilten Mikrorissen und Indexmineralen in versiegelten Rissen kann zusätzlich für die jeweiligen Spannungsrichtungen eine Druck/Tem- peraturabschätzung vorgenommen werden (z.B. Schild et al. 1998). 2. Gesteinseigenschaften in situ Verschiedene geophysikalische Krusten- anomalien können u.a. durch ein gehäuftes Auftreten von orientierten Mikrorissen erklärt werden (z.B. Dämp- fung und Polarisation von seismischen Wellen; z.B. Weiss 1998). Die durch vernetzte Risspopulationen erzeugten Gesteinspermeabilitäten stellen bedeu- tende Wegsamkeiten für Krustenfluide dar. Dies ist u.a. für den gerichteten penetrativen Stoff- und konvektiven Wärmetransport durch die Gesteinsma- trix von Bedeutung. Die Ausrichtung und der Vernetzungsgrad von Mikroris- sen ist z.B. auch ein wichtiger Faktor für die Beurteilung geothermischer Reservoire, da prä-existierende Mi- krorisse die Ausbreitungsrichtung und Dimension von künstlich stimulierten Makrobrüchen (Wärmeaustauschflä- chen) erheblich beeinflussen. 3. Eigenschaften als Werkstein Das richtungsabhängige Festigkeitsver- halten wird u.a. durch die bevorzug- te Orientierung von Mikrorissen dik- tiert. Dies gilt insbesondere für Gestei- ne, die keine weiteren planaren Vor- zeichnungen wie stofflicher Lagenbau oder Schieferung aufweisen (z.B. Rüd- rich 2003). Der Beitrag von Mikroris- sen zur inneren Oberfläche ist für das Verwitterungsverhalten vieler Werkstei- ne von Bedeutung. So stellen Mikroris- se u.a. Wegsamkeiten und Angriffsflä- chen für korrosive Agenzien dar (Rüd- rich 2003). Hinsichtlich der physikali- schen Verwitterungsprozesse stellen Mi- krorisse in den ansonsten dichten Kri- stallingesteinen den Porenraum dar, in dem Eis- oder Salzkristallisation und dadurch induzierte Spannungen zur Ge- fügeentfestigung führen (z.B. Doehne 2002). Literatur Doehne E (2002) Salt weathering: Context and insights. In: S. Siegesmund, T. Weiss and A. Vollbrecht (eds): Natural stones, weathering phenomena, conservation strategies and case studies. Geological Society Special Publica- tion 205, 43–56 Rüdrich J (2003) Gefügekontrollierte Ver- witterung natürlicher und konservierter Marmore. Dissertation, Universität Göttin- gen, http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/2003/ ruedrich/ruedrich.pdf, pp 158 Schild M, Vollbrecht A, Siegesmund S, Reutel C (1998) Microcracks in granite cores from 2 TSK 11 Göttingen 2006 Ruedrich & Vollbrecht EPS-1 drillhole, Soultz-Sous-Forêts. Paleost- ress directions, paleofluids and crack-related Vp-anisotropies. Geologische Rundschau 86, 775–785 Vollbrecht A, Dürrast H, Kraus J, Weber K (1994) Paleostress directions deduced from microcrack fabrics in KTB core samples and granites from the surrounding field. Sci. Dril- ling 4, 233–241 Vollbrecht A, Stipp M, Olesen, NØ (1999) Cry- stallographic orientation of microcracks in quartz and inferred deformation processes — a study on gneisses from the German Conti- nental Deep Drilling (KTB). Tectonophysics 303, 279–297 Weiss T (1998) Gefügeanisotropie und ih- re Auswirkung auf das seismische Erschei- nungsbild: Fallbeispiele aus der Lithosphäre Süddeutschlands. Geotektonische Forschun- gen 91, pp 156 3