TSK 11 Göttingen 2006 Pleuger et al. Kinematik des Deckenkon- taktes zwischen der Combin- zone und der Zermatt-Saas- Zone (Penninische Decken, Westalpen) und deren Bedeu- tung für die Exhumierung der Zermatt-Saas-Zone Vortrag Jan Pleuger1 Sybille Roller1 Jens M. Walter2 Ekkehard Jansen2 Nikolaus Froitzheim1 Die Grenze zwischen zwei ophiolithis- chen Decken der penninischen Alpen, der Zermatt-Saas-Zone (unten) und der Combinzone (oben), markiert zugleich einen bedeutenden Sprung der bei der tertiären alpinen Metamorphose max- imal erreichten Drücke. Während die Zermatt-Saas-Zone Ultrahochdruck- metamorphose (25–30 kbar/550–600°C, Bucher et al. 2005) erfuhr, erreichte die Combinzone lediglich blauschiefer- fazielle Bedingungen (13–18 kbar/380– 550°C, Bousquet et al. 2004). Vor allem die Polarität des Drucksprunges führte dazu, daß die Deckengrenze zumeist als gewaltige südostvergente Abschiebung interpretiert wurde (z.B. Ballèvre & Merle 1993, Reddy et al. 1999). Strukturgeologische Gelände- beobachtungen ergeben jedoch sowohl für das Hangende als auch das Liegende der Combinstörung die folgende kine- matische Entwicklung: 1. Nordwestvergente, überschiebende Scherung (D1), 2. (Süd)westvergente Scherung (D2), 1 Geologisches Institut, Universität Bonn, Nußallee 8, 53115 Bonn 2 Mineralo- gisch-Petrologisches Institut, Universität Bonn, Arbeitsgruppe für Neutronenbeugung, Forschungszentrum Jülich, MIN/ZFR, 52425 Jülich 3. Südostvergente, abschiebende Scherung (D3). Alle drei Deformationsphasen fanden in beiden Einheiten unter grünschiefer- faziellen Bedingungen statt. Neutronentexturgoniometrische Unter- suchungen sind vor allem an Quarziten der Cimes-Blanches-Decke durchgeführt worden, die sich an der Basis der Combinzone befindet und große Ver- satzbeträge entlang der Combinstörung durch duktile Scherung aufgenommen hat. Die im Rahmen dieser Studie erhal- tenen Quarzittexturen lassen insbeson- dere Rückschlüsse auf die Geometrie der Verformungen D1, D2 und D3 zu. Sie spiegeln die oben avisierte Verformungs- geschichte wieder und erlauben, zusam- men mit Quarzittexturen aus anderen Einheiten, den Geländbeobachtungen und petrologischen sowie geochronolo- gischen Daten, eine detaillierte kine- matische Rekonstruktion des penninis- chen Deckenstapels. Diese zeigt, daß abschiebende Bewegungen entlang der Combinstörung während D2 und D3 stattgefunden haben, aber nur geringe Versatzbeträge hatten. Spät während D1 entstanden jeweils an der Basis der Sesia-Dent Blanche- Decke, der Zermatt-Saas-Zone und der Monte Rosa-Decke drei out-of-sequence- Überschiebungen, die als stark aus- gedünnte Liegendschenkel von Decken- falten aufgefaßt werden können. Nach Abwicklung dieser Falten liegt die Com- binzone im Süden über der Sesia- Dent Blanche-Decke, in der Mitte über der Zermatt-Saas-Zone und im Norden über dem Bernhard-Deckensystem (Bri- ançonnais). Die Platznahme der Com- binzone fand während früher Stadien von D1 statt als die Combinstörung eine flache, nordwestgerichtete Über- schiebung war. Gleichzeitig mit dieser 1 Pleuger et al. TSK 11 Göttingen 2006 Überschiebung war eine Abschiebung an der Basis der Sesia-Dent Blanche-Decke aktiv, so daß diese nach Süden aus dem Deckenstapel extrahiert wurde. Die Ex- traktion der Sesia-Dent Blanche-Decke bewirkte größtenteils die Exhumierung der Zermatt-Saas-Zone. Nördlich des extrahierten Blocks vereinigten sich in der Combinstörung die Überschiebung und die Abschiebung. Da der Ver- satzbetrag der Überschiebung größer als der der Abschiebung war, addierten sich die Bewegungen nördlich der Sesia-Dent Blanche-Decke zu einer Überschiebung. Diese transportierte die ursprüngliche Bedeckung der Sesia-Dent Blanche- Decke, von der sich auch die Cimes Blanches-Decke ableitet, so weit nach Norden, daß die ursprüngliche Bedeck- ung des Briançonnais durch die Cimes- Blanches-Decke ersetzt wurde (siehe auch Sartori & Marthaler 1994). Die Rekonstruktion ergibt, daß die Combinstörung hauptsächlich als Über- schiebung aktiv war. Die Exhumierung der Gesteinseinheiten im Liegenden wurde nicht durch Extension, sondern durch vertikale Ausdünnung der Kruste während horizontaler Kontraktion be- wirkt. Literatur Ballèvre M & Merle O (1993) The Combin fault: Compressional reactivation of a Late Cretaceous-Early Tertiary detachment fault in the Western Alps. Schweiz Mineral Pet- rogr Mitt 73, 205–227 Bousquet R, Engi M, Gosso G, Oberhänsli R, Berger A, Spalla MI, Zucali M & Goffé B (2004). Explanatory notes to the map: Metamorphic structure of the Alps Transi- tion from the Western to the Central Alps. Mitt Österr Miner Ges 149, 145–156 Bucher K, Fazis Y, de Capitani C & Grapes R (2005) Blueschists, eclogites, and decompres- sion assemblages of the Zermatt-Saas ophi- olite: High-pressure metamorphism of sub- ducted Tethys lithosphere. Am Mineral 90, 821–835 Reddy SM, Wheeler J, Butler RWH, Cliff RA, Freeman S, Inger S, Pickles C & Kelley SP (2003) Kinematic reworking and exhuma- tion within the convergent Alpine Orogen. Tectonophysics 365, 77–102 Sartori M & Marthaler M (1994) Exemples de relations socle-couverture dans les nappes penniques du Val d’Hérens Compte-rendu de l’excursion de la Société Géologique Suisse et de la Société Suisse de Minéralogie et Pétro- graphie (25 et 26 septembre 1993). Schweiz Mineral Petrogr Mitt 74, 503–509 2