Ulrich von Hacht (Hrsg.) Fossilien von Sylt III 143-150 Hamburg, 23. März 1990 Oberordovizische (?) Favositida aus dem Kaolinsand von Braderup/ Sylt mit drei Tafeln GERO HILLMER & JOACHIM REITNER Einleitung Verkieselte Kolonien von tabulaten Korallen sind in den Kaolinsanden von Sylt relativ häufige Fossilien (HUISMAN 1987). Vollständige Kolonien sind aber selten. Außerdem gehört die Mehrzahl der Kolonien zur Favositiden-Gattung Paleofavosites TWENHOFEL. Bisher wurden nur wenige Exemplare der Gattung Favosites gefunden (HUISMAN 1987). Beschreibung Die halbkugeligen Korallite haben einen Durchmesser von 1-2 cm und eine Höhe von 1-1,5 cm, wobei ein Exemplar einen Durchmesser von 3 cm und eine Höhe von 2 cm aufweist. Einige zeigen einen basalen Hohlraum von 0,8 -1 cm Durchmesser, dessen innere Oberfläche relativ glatt ist. Vermutlich waren diese Kolonien auf eine organische oder aragonitische, kugelförmige Basis aufgewachsen (Taf. 1, Fig. 1-4). Die Tubenquerschnitte sind polygonal und zeigen ein bienenwaben-ähnliches Muster mit 3 bis 6 Ecken. Die Eckenanzahl nimmt mit dem Alter der Tube zu. Neugebildete Tuben haben nur 3 Ecken, während größere bis zu 6 Ecken aufweisen. Die größten Tuben besitzen einen Durchmesser von 340 -500 /Lm. Die üblicherweise gemessene Distanz von Zentrum zu Zentrum der Tuben schwankt zwischen 300 -400 -600 /Lm und ist vom ontogenetischen Stadium der Tube abhängig (Taf. 2, Fig. 1-4). Neue Tuben entstehen nicht durch Tubenspaltung, sondern werden zwischen die älteren eingeschaltet. Diese Wachstumsstrategie führt zu einem sphäroiden Bau der Kolonie. Die an der Oberfläche des Korallums zu beobachtende unterschiedliche Porengröße hat deshalb nichts mit einer funktionellen Differenzierung der Tuben zu tun, wie dies bei Hydrozoen (z. B. Millepora) und Bryozoen der Fall wäre. Die Wand besteht aus zwei Zonen, Beobachtet wird eine zentrale Zone von ca. 10 /Lm. Auf diese wird eine Randzone von ca. 15 -20 /Lm aufgesetzt. Eine Mikrostruktur der Wand ist bei dem vollständig silifizierten Material nicht mehr erkennbar. Dornen werden nicht beobachtet, ebenso fehlen Intramuralporen. Die Tuben sind durch Tabulae unterteilt. Sie besitzen die gleiche Struktur wie die Tubenwand und auch in etwa dieselbe Dicke. Die Distanzen der Tabulae zeigen eine erhebliche Schwankungsbreite (0.7, 0.9,1.3,1.7 mm) (Taf. 3, Fig. 1-4). Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. G. Hillmer, Geologisch-Paläontologisches Institut der Universität Hamburg, Bundesstraße 55, D-2000 Hamburg 13 Dr. J. Reitner, Paläontologisches Institut der Freien Universität Berlin, Schwendenerstraße 8, D-IOOO Berlin 33 © 1990 Inge-Maria von Hacht, Verlag und Verlagsbuchhandlung, Hamburg . ISBN 3-925264-02-7 Diskussion Die vorliegenden Merkmale sprechen für einen frühen Favosit~den, sehr wahrscheinlich für das Taxon Favosites, das seit dem Oberordovizium bekannt ist (HILL 1981, BYRA 1983, BIRENHEIDE 1985). Mit den Paleofavositen haben die beschriebenen Kolonien nichts zu tun, da die charakteristischen Poren und Dornen fehlen (HILL 1981). Eine genaue Identifizierung kann jedoch aufgrund der schlechten Erhaltung infolge der Silifizierung nicht gemacht werden. Eine Beziehung zu den chaetetiden Porifera ist ebenfalls wenig wahrscheinlich, da Tabulae und vertikale Wand die gleiche Mikrostruktur und Dicke haben. Dies wird bei keinem chaetetiden Schwamm beobachtet. Der polygonale Tubenquerschnitt unterscheidet sich hinsichtlich der Morphologie vollkommen von dem der chaetetiden Poriferen (REITNER & ENGESER 1987, REITNER 1990 im Druck). Für die Favositiden wurde von FLÜGEL (1976) und STEL (1978) ein Poriferenmodell vorgeschlagen. COPPER (1985) fand jedoch in den Tuben phosphatisierte Polypen. Nach diesem Befund gehören die Favositida eindeutig zu den Cnidaria. Dagegen versucht KAZMIERCZAK (1990, im Druck) aufgrund von länglichen Pyritaggregaten, die er als Spicula-Relikte deutet, erneut eine Poriferen-Beziehung herzustellen. Diese Interpretation hat allerdings keine überzeugende Akzeptanz gefunden. Die sogenannten »Spicula-Relikte« werden als Bohrspuren endolithischer Organismen angesehen (REITNER 1990, im Druck). LITERATURVERZEICHNIS BIRENHEIDE, R. 1985: Chaetetida und tabulate Korallen des Devon. -In: Ziegler, W. (ed.), Leitfossilen, 3, 249 S., Borntraeger, Berlin BYRA, H. 1983: Revision der von Cl. Schlüter (1880-1889) beschriebenen Chaetetida und Tabulata aus dem Rheinischen Devon. -Cour. Forsch.-Inst. Senckenberg, 59: 1-127. COPPER, P. 1985: Fossilized Polyps in 430-myr-old Favosites corals. -Nature, 316: 142 -144. FLÜGEL, H. W. 1976: Ein Spongienmodell für die Favositidae. -Lethaia, 9: 405 -419. HILL, D. 1981: Coelenterata (F); Rugosa and Tabulata (Supplement 1), Vol. 2. -In: Teichert, C. (ed.), Treatise of Invertebrate Paleontology, 762 S., University Kansas Press, Lawrence. HUISMAN, H. 1987: Verkieselte Korallen aus dem Kaolinsand von Syl!. -In: Hacht, U. von (ed.), Fossilien von Sylt 11, 149 -177, Verlag und Verlagsbuchhandlung von Hacht, Hamburg. KAZMIERCZAK, J. 1990: Further Evidence for Poriferan Affinities ofFavositids. -In : Reitner, J. & Keupp, H. (eds.), Fossil & Recent Sponges, Springer Verlag, Berlin (im Druck). STEL, J. H. 1975: Erratische Favositidae der nördlichen Niederlande. -Der Geschiebesammler, Sonderheft 2: 203 S. -1978: Studies on the palaeobiology of Favositids. -247 S., Groningen. REITNER, J. 1990: Phylogenetic Aspects and N ew Descriptions of Spicule-Bearing Hadromerid Sponges with a Secondary Calcareous Skeleton (Tetractinomorpha, Demospongiae). -In: Reitner, J. & Keupp, H. (eds.), Fossil and Recent Sponges, Springer Verlag, Berlin (im Druck). REITNER, J. & ENGESER, T. 1987: Skeletal structures and habitates of recent and fossil Acantho chaetetes (subcIass Tetractinomorpha, Demospongiae, Porifera). -Coral Reefs 6, 151 -157. [Anmerkung des Herausgebers: Die dieser Publikation zugrundeliegenden Fossilien aus den Sammlungen Lange, Westerland, und von Hacht, Hamburg, entstammen ausnahmslos der Kiesgrube 3 (Fa. LORENTZEN) in Braderup / Sylt. Belegmaterial aus anderen Sammlungen oder anderen Kiesgruben ist nicht bekanntgeworden.] TAFEL J Fig. I: Verkieseltes Korallum; auf einem halbkugeligen Korallit ist durch Knospung eine Subkolonie aufgewachsen. Maßstab = 0,5 cm (gilt für alle weiteren Fig. auf Taf. 1) Fig. 2: Ansicht des Längsbruches desselben Koralliten. Fig.3: Oberseite eines halbkugeligen Koralliten. Fig.4: Ansicht der Unterseite desselben Koralliten mit basalem halbkugeligem Hohlraum. ]45 TAFEL 2 Fig. l: Querschnitt durch einen Koralliten mit bienenwaben-ähnlichem Muster. Maßstab = 2 mrn. Fig.2: Polygonale Tubenquerschnitte desselben Koralliten im Dünnschliff. Vergrößerung x 41. Fig.3 : Polygonale Tubenquerschnitte im Dünnschliff; die Tubenquerschnitte weisen drei bis sechs Ecken auf. Neugebildete Tuben haben nur drei Ecken, ältere bis zu sechs. Vergrößerung x 68. Fig. 4 : Oberfläche eines Koralliten, die das Bienenwabenmuster zeigt. Vergrößerung x 23. 146 TAFEL 3 Fig.1: Fig. 2: Fig. 3: Fig.4: Längsschnitt durch einen Koralliten; Tuben mit den Querböden der Tuben (Tabulae). Maßstab = 1 mm. Detail von den Tuben desselben Koralliten mit Tabulae ; Tubenwand und Tabulae haben • eine ähnliche Mikrostruktur. Vergrößerung x 59. Detailaufnahme von Tuben mit Tabulae. Vergrößerung x 94. Detailaufnahme desselben Koralliten; die Tubenwand zeigt eine zentrale Zone mit einer Randzone. Intramurale Poren sind nicht vorhanden. Vergrößerung x 63. 149